Das Gemäuer

 

Das Gemäuer liegt am Meer. Auf hohen Klippen. Seit Jahrhunderten. Die Frauen wohnen darin. Die Frauen müssen es bald verlassen.

Es ist Herbst. Hinter den kalten Mauern gehen die Frauen in den großen Saal. Stumm. Hintereinander. Mit gesenkten Köpfen.

Sie setzen sich an den langen Holztisch.

Auf dem langen Holztisch liegt das abendliche Mahl. Nacheinander nehmen sie einen Teil des Mahls. Und legen ihn auf ihre Teller. Sie beginnen das abendliche Mahl zu liebkosen. Sie nehmen es in ihre Hände. Sie führen es an ihre Münder. Und küssen es. Jede für sich. Langsam. Hastig. Neidisch. Eine eine Hastige fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Auf ihrem Teller glänzt noch das Fett. Sie hebt den Teller vor ihr Gesicht. Sie streicht mit der Zunge über den Teller. Ein wenig Fett tropft herunter. Tropft auf den Ansatz ihrer Brüste. Sie stellt den Teller ab. Ihr Mund glänzt. Sie wischt mit der Innenfläche der Hand über Lippen und Kinn. Sie streicht am Hals hinunter. Der Hals glänzt. Sie erreicht die Brüste. Berührt mit dem Zeigefinger den Fettropfen auf der Brust. Verreibt ihn. Leckt den Finger ab. Zieht das Kleid über die Brust herunter. Leckt noch einmal die Finger. Mit den feuchten Fingern nimmt sie eine Brust. Öffnet den Mund. Findet mit der Zunge kein Fett mehr auf den Lippen. Weit über deren Rand hinaus glänzt der Mund vom Speichel. Laute kommen aus ihrer Kehle. Bis ihr eine andere Frau das Holz hinhält. Dicht vor das Gesicht.

Eine eine Langsame hält die Gabel in der Faust. Mit den Zinken nach unten hält sie sie umklammert. Sie senkt die Gabel auf den Teller hinab. Sticht in den Teil des abendlichen Mahls vor sich. Setzt mit dem Messer am abendlichen Mahl an. Beginnt die rechte Hand hin- und herzuschieben. Hebt den kleinen Biss auf der Gabel zum Mund. Öffnet die Lippen einen Spalt. Schiebt den Biss hindurch. Der Unterkiefer bewegt sich auf und ab. Der Nacken beugt sich nicht zum Teller. Die Augen blicken auf das gegenüberliegende Fenster. So isst die Langsame Teil für Teil. Bis ihr Teller leer ist.

Alle Frauen erheben sich. Alle Frauen gehen zu den Waschschüsseln. Alle Frauen beginnen mit dem Reinigen der Hände. Die kantigen Seifenstücke werden lange in den Händen gerieben. Wenig Schaum entsteht. Alle Frauen greifen zu den Handbürsten neben den Seifenbehältern. Alle Frauen schrubben die Finger. Die geröteten Hände werden mit kaltem Wasser übergossen und in dunklen Handtüchern getrocknet.

Jede geht in ihre Kammer und kniet auf den Steinfußboden nieder. Sie nehmen die Hände vor die Brust. Sie senken die Lider. Sie beginnen zu murmeln. Leise und stockend. Leise und schneller. Sie heben die Köpfe. Sie breiten die Arme aus. Sie strecken die Finger hoch. Sie stoßen Laute hervor. Sie rutschen auf den Knien an die dicke Mauer heran. Sie drücken Stirn und Brust an die kalte Wand. Sie reiben die Wangen. Kleine Blutstropfen kommen. Handflächen schlagen gegen das Mauerwerk. Zungen küssen den Kalk.

Bis das Geräusch ertönt.

 

In der Nacht geht eine Hastige zu einer Langsamen.

Sie pressen das Holz zwischen sich. Die Hastige beginnt nach den Haaren der Langsamen zu schnappen. Die Haare sind lang. Mit den Zähnen schnappt sie sie. Beißt darauf. Zieht sie durch den Mund. Und entlässt sie feucht und zusammengeklebt aus dem Mund.

Und sie pressen das Holz zwischen sich.

Und die Langsame beginnt den Kragen des Kleides der Hastigen zu berühren. Mit dem Zeigefinger streicht sie den Samt gegen seine Richtung. Streicht ihn zum Hals hin. Streicht von vorne nach hinten. Streicht zuerst mit dem linken Zeigefinger die eine Hälfte. Dann mit dem rechten Zeigefinger die andere Hälfte.

Das Holz fällt auf den Boden.

Beide Frauen zucken. Sehen sich an. Die Arme eng am Körper. Am eigenen. Zwischen sich den Spalt Luft. Den zuvor das Holz ausfüllte.

Beide gehen in die Knie.

Das Holz liegt vor ihren Füßen. Liegt zwischen ihnen. Sie ergreifen es. Heben es hoch. Und erheben sich. Stehen gestreckt. Und pressen das Holz zwischen sich. Und die Hastige geht in jener Nacht.

 

Am Morgen tönt das Geräusch.

Alle zusammen gehen zum großen Holz. Gehen in den Saal mit den Wänden aus Kalk. Mit leerem Magen eine jede. Mit kalten Händen eine jede. Alle stehen zusammen. Stehen vereinzelt zusammen. Alle starren auf den Boden.

Das Geräusch tönt laut.

Alle stellen sich in einen Kreis. Stellen sich hintereinander. Und jede hebt ihren rechten Arm. Und jede greift unter ihr Kleid. Und jede holt ihren kleinen Dolch hervor. Alle haben den gleichen kleinen Dolch. Zweischneidige Klinge. Blauer Handgriff.

Das Geräusch tönt lauter.

Und die rechten Arme mit den Dolchen in den Händen senken sich auf die Rücken. Senken sich auf die Rücken der Frauen vor ihnen. Senken sich zwischen die Schulterblätter. Die Dolche werden eingedrückt. Werden durch die Kleider gedrückt. Sie zerschneiden die Kleider. Und gleiten dann über die Wirbelsäulen nach unten. Gleiten bis zu den Kreuzbeinen. Dort werden die Dolche abgehoben. Alle stecken sie zurück in die Kleider.

Dann erst setzen sie Schreie ein. Die Laute aus den aufgesperrten Mündern übertönen das Geräusch.

Alle fallen zu Boden. Schreiend. Pressen die Rücken auf den Boden. Bäumen sich hoch. Und pressen. Bäumen sich hoch. Und pressen. Drehen sich auf die Bäuche. Lassen die Stirnen auf den Boden fallen. Und werfen die Köpfe in die Nacken. Drehen sich auf die Rücken. Pressen die Rücken. Drehen sich auf die Bäuche.

Die Schreie lassen das Geräusch verstummen. Jede Frau schreit noch einmal.

Dann ist es beendet.

Alle erheben sich. Alle gehen. Gehen aus dem Saal mit dem großen Holz. Die Hände sind rot. Sind warm.

Der Morgen ist weiß.